Ratgeber
Psychotherapie: Wann brauche ich psychologische Hilfe?
Sind das Depressionen? Brauche ich einen Psychotherapeuten? Psychologischen Bedarf erkennen und der Weg zur psychischen Gesundheit.
Psychologische Probleme: Brauche ich eine Psychotherapie?
Die Zahl verfügbarer Plätze in der Psychotherapie sinkt, während die Zahl der Fälle steigt. Doch merkt man eigentlich, wenn man selbst betroffen ist? Wir schauen mal genauer hin.
Das stille Leiden der Seele – Depressionen und andere Erkrankungen sind auf dem Vormarsch
In einer Ellenbogengesellschaft, in der oft nur noch die erbrachte Leistung zählt, geraten immer mehr Menschen ins Schlingern. Ständiger Zeitdruck, das Gefühl „Mithalten zu müssen“, Konkurrenzkampf und Reizüberflutung: Nur einige Faktoren, die den Nährboden für psychische Erkrankungen bilden können. Fast 28 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland erkranken im Laufe eines Jahres psychisch. Die Seele leidet stumm unter den Problemen. Und trotzdem sind diese Erkrankungen genauso ernst zu nehmen und therapiebedürftig wie körperliche Krankheiten.
Trotzdem schämen sich Betroffene zu oft für ihre seelischen Erkrankungen und begeben sich nicht – oder erst viel zu spät – in professionelle Behandlung bei Therapeuten oder Psychiatern. Doch behandelt man die Probleme nicht, kann das verheerende Folgen haben – bis hin zum Suizid. Welche Anzeichen ernste Hinweise auf eine oft schleichend beginnende, psychische Erkrankung sein können, wie Sie damit umgehen und an wen Sie sich wenden können, erfahren Sie im Folgenden.
Psychologischen Handlungsbedarf erkennen
Oft setzen die ersten Beschwerden im Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankung schleichend ein. Die Betroffenen fühlen sich häufig niedergeschlagen oder ausgelaugt. In den ersten Tagen und Wochen wird das von den Betroffenen (und ihrem Umfeld) oft als vorübergehende Phase oder lediglich „richtig schlechter Stimmung“ abgetan. Entsprechende Symptome werden oft auch dann noch so betrachtet, wenn aktuelle Ereignisse das Leben beeinflussen. Beispielsweise die Trennung vom Partner oder ein erzwungener Jobwechsel.
Doch wann werden diese Beschwerden wirklich bedenklich und können nicht mehr als normale Reaktionen auf belastende Lebensereignisse abgetan werden? Wann spätestens sind permanente Niedergeschlagenheit oder Unlust am Leben nicht mehr "nur" als miese Laune wegzureden? Und wann spätestens sollte man ernsthaft in Betracht ziehen, sich fundierte Hilfe zu suchen?
Psychotherapeutisch eindeutige Anzeichen auf der Gefühlsebene
- Wiederholtes, belastendes Auftreten starker Gefühle von Angst und/oder Panik
- Starkes Empfinden von Hilflosigkeit, Verlorenheit, Ausweglosigkeit in unterschiedlichen Situationen
- Permanente Angespanntheit
- Dauerhafte Labilität
Anzeichen einer Depression oder anderer Erkrankungen auf der Denkebene
- Eingeengte Gedanken: keine Aussicht und kein Erkennen von Alternativen
- Schwarz-Weiß-Denken
- Lern- und Leistungsprobleme sowie Konzentrationsschwierigkeiten
- Flucht in eine Traumwelt
Psychisch auffälliges Verhalten
- Äußerst sprunghafte und unkoordinierte Handlungen
- Sozialer Rückzug
- Verändertes/schwieriges Essverhalten
- Ersatzhandlungen
- Physische/seelische Gewalt gegen sich selbst
Körperliche Symptome eines psychotherapeutischen Handlungsbedarfs
- Schwere Schlafstörungen und ständige Müdigkeit
- Herzrasen, Atemnot und unkontrolliertes Zittern
- Häufige Beschwerden im Magen- und Darmtrakt
- Permanente Kopfschmerzen und Schwindel
- Appetitlosigkeit und/oder Essattacken
Veränderung sozialer Beziehungen
- Isolation
- Abkehr von Freunden, Familie und Interessen
- Betroffene können ihre Mitmenschen nicht mehr verstehen (und umgekehrt)
Umso früher man diese Anzeichen erkennt und sich eingesteht, dass man Hilfe benötigt, umso besser zeigen sich die Aussichten auf eine schnelle Erholung und Gesundung. Wenn Sie also das Gefühl haben, dass ein Stimmungstief kein Ende nimmt, dann sollten Sie ernsthaft in Betracht ziehen, an einer Depression erkrankt zu sein. Lassen Sie länger andauernde, belastende Gefühlszustände, Verhaltensweisen und körperliche Symptome auf jeden Fall von einem Arzt oder Therapeuten Ihres Vertrauens abklären. Schämen Sie sich auf keinen Fall. Nehmen Sie Hilfe in Anspruch, wenn Sie sie benötigen. Das ist keine Schwäche, sondern ein Zeichen von Stärke.
Ursachen für Depression & Co. ohne Psychotherapie erkennen: Reichen Selbstreflexion und Selbstbewertung aus?
Für Betroffene kann es oft hilfreich sein, eine Art von Selbstreflexion und/oder Selbstbewertung durchzuführen. Bestimmte zielgerichtete Fragen helfen dabei, in persönlicher Einkehr herauszufinden, ob beispielsweise die eigenen Bedürfnisse dauerhaft unterdrückt werden, Freundschaften einseitig verlaufen oder belastende Ängste im Beruflichen oder Privaten zu versagen bestehen.
Kristallisieren sich beispielsweise anhand eines entsprechenden Fragenkatalogs viele negative Einstellungen und Ansichten heraus, können diese bereits erste Zeichen für eine depressive Verstimmung sein und einen Besuch beim Arzt des Vertrauens ratsam machen. Im Rahmen einer derartigen Selbstreflexion könnte beispielsweise folgende Fragen gestellt werden.
Fragen zur psychotherapeutischen Selbstreflexion
- Was macht mich dankbar?
- Was macht mich niedergeschlagen, wütend und unter was leide ich?
- Was hat mich heute glücklich/unglücklich gemacht?
- Wie fühle ich mich gerade?
- Was habe ich heute für mich/für andere getan? Hat mich das zufrieden gemacht?
- Was habe ich heute neu gelernt/wen habe ich heute neu kennengelernt?
- Wie laufen meine zwischenmenschlichen Beziehungen? Fühle ich mich verstanden/missverstanden?
- Was kann ich morgen besser machen?
- Was kann ich proaktiv ändern, damit ich mich besser fühle?
- Schaue ich positiv oder negativ in die Zukunft?
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Sicherlich ist eine Selbstreflexion kein Ersatz für eine professionelle Diagnose durch einen Psychiater oder Facharzt. Allerdings stellt sie eine gute Möglichkeit dar, das Bewusstsein für das eigene emotionale Wohlbefinden und dessen Ursachen zu erhöhen. Zudem gelingt es dadurch vielleicht, frühzeitig problematische seelische Entwicklungen zu bemerken und diese beizeiten zu behandeln.
Wie Gespräche einen psychotherapeutischen Effekt haben können
Zwischenmenschliche Beziehungen und die damit einhergehenden Gespräche sind in der Regel für unser aller Wohlbefinden äußerst wichtig. Das trifft vor allem natürlich auch auf psychisch Erkrankte zu. Auch wenn sich das direkte persönliche Umfeld der Betroffenen sehr hilflos fühlt, ein Angebot an Gesprächsbereitschaft sollte von engen Vertrauten trotzdem immer bereitstehen!
Doch Vorsicht: Hier ist erhöhtes Taktgefühl notwendig! Oft möchten vertraute Menschen dem Erkrankten helfen und Mut zusprechen. Statt besserer Gemütslage und Verbundenheit tritt dabei jedoch das Gegenteil ein und der betroffene Mensch fühlt sich komplett unverstanden. Oder sogar bedrängt und blockt alle weiteren Gespräche ab. Werden Gespräche dagegen "richtig" und mit dem nötigen Fingerspitzengefühl geführt, können Sie wahre Wunder bewirken - oder zumindest den Betroffenen motivieren, sich professionelle Hilfe zu suchen.
Wichtige Aspekte, die es im Gespräch mit den Erkrankten zu beachten gilt, sind dabei:
- Nicht unter Druck setzen: Keinen Termin und/oder kein Zeitlimit für das Gespräch vorgeben oder aufdrängen
- Keine Vorwürfe machen: Der/die Betroffene ist nicht „selbst schuld“ an der psychischen Erkrankung und muss sich nicht „einfach mal zusammenreißen“
- Zuhören können: Mehr Zuhören, anstatt das Gespräch zu führen. Etwa durch sogenanntes "Mirroring" (Aufgreifen der letzten gesagten Worte des gegenüber als wiederholende Frage mit angehobener Stimme am Ende. Beispiel: "...und das fällt mir schwer." > "Fällt dir schwer?")
- Verständnis zeigen: Empathie zeigen, die seelische Belastung nicht behandeln, sondern erstmal verstehen zu wollen
- Keine Binsenweisheiten oder Allerwelts-Ratschläge: Allgemeine Floskeln wie „alles wird wieder gut“ oder „alles halb so schlimm“ sollten vermieden werden
- Psychiater-Rolle vermeiden: Als Freund auftreten, nicht Weisheiten von sich geben
- Psychische Erkrankung als richtige Krankheit anerkennen: Nicht als „weniger schlimm“ im Vergleich zu körperlichen Symptomen abtun
- Richtige Balance finden: Als Gesprächspartner den nötigen Abstand wahren und Raum geben
Den ersten Schritt zur Therapie machen
Der erste Schritt, wenn es um psychische Störungen geht, ist im Prinzip das Eingeständnis, professionelle Hilfe zu benötigen. Wer das erkannt hat und dazu bereit ist, merkt oft, dass es leider gar nicht so einfach ist, kurzfristig an professionelle Hilfe zu kommen. Je nach akutem Befinden gibt es dennoch erste wichtige Anlaufstellen. Je nach akutem Zustand ist ein differenziertes Vorgehen zum Erlangen der nötigen professionellen Behandlung wichtig:
1. Vielleicht muss es (noch) gar keine "echte" Psychotherapie sein?
Vielleicht hilft Ihnen zunächst bereits eine sanfte (digitale) Unterstützung? Dann sind vielleicht Apps wie deprexis oder 7Mind oder ein Online-Therapieprogramm die richtige Wahl für Sie. Und: Diese modernen Therapieformen werden mitunter sogar bezuschusst. Doch auch Selbsthilfegruppen oder psychosoziale Beratungsstellen können in diesem Falle sehr hilfreich sein. Sie trauen sich nicht? Suchen Sie sich am besten eine verlässliche Begleitung, die Sie bei entsprechenden Treffen und Terminen mit ihrer bloßen Anwesenheit schon unterstützt. Auch große Arbeitgeber kooperieren zuweilen mit externen Mitarbeiterberatungen (EAP), über die Sie Unterstützung, Beratung und Hilfe bekommen können.
2. Eine Therapie könnte die psychische Belastung lindern, der Leidensdruck ist aber noch nicht unerträglich?
Sie haben den Verdacht, dass Sie ernsthaft psychisch erkrankt sind? Sie befürchten womöglich sogar, bereits eine ausgewachsene Depression oder Angststörung entwickelt zu haben? Dann sollten Sie eine Therapieplatzsuche in Erwägung ziehen. Und damit so zeitig wie möglich beginnen. Denn bis Sie als Patient aufgenommen werden, müssen Sie sich leider auf eine Wartezeit von mehreren Wochen oder sogar einigen Monaten einstellen. Und das übrigens nicht nur als Kassen-, sondern oftmals auch als Privatpatient.
Auf dem Weg zur Therapie liegen dann im Prinzip drei Etappenziele vor Ihnen, welche Sie nacheinander angehen sollten:
- 1. Ziel: Termin für Erstgespräch/Sprechstunden
Fragen Sie für ein erstes Gespräch explizit nach einer Sprechstunde. Therapeuten und Therapeutinnen, die gesetzlich versicherte Patienten behandeln, sind nämlich verpflichtet, zumindest Erstgespräche anzubieten. Diese können sich dann auch über mehrere Sitzungen erstrecken. - 2. Ziel: Probesitzung(en) vereinbaren
Vor dem eigentlichen Beginn der Psychotherapie finden mit dem Patienten meist einige erste, klärende Sitzungen statt. Dabei wird eine genaue Diagnose erstellt. Beide Seiten lernen sich kennen. Ein Plan für die Behandlung wird erarbeitet. Für den Erfolg einer Psychotherapie braucht es gegenseitiges Vertrauen. - 3. Ziel: Therapie beginnen
Sie haben es geschafft: In Therapieformen wie Einzel- oder Gruppengesprächen können Sie sich nun zusammen mit Psychotherapeuten auf die Lösung Ihrer Probleme und Ihre baldige Gesundung konzentrieren. Die zeitliche Länge der Therapie ist unterschiedlich und grundsätzlich Verhandlungssache zwischen Ihnen, Ihrem behandelnden Therapeuten, Ihrer Krankenkasse und dem Gesetzgeber. Bei entsprechendem Bedarf können Sie eine Verlängerung der Therapie beantragen.
3. Alles ist Ihnen einfach viel zu viel: Eine Psychotherapie ist unumgänglich!
Es gibt etwas in Ihrem Leben, das Sie so sehr belastet, dass Sie weder Ihre Arbeit noch Ihren Alltag bewältigen können? Dann lassen Sie sich von Ihrem Hausarzt krankschreiben! Sie können auch direkt bei ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeutinnen nach Sprechstunden fragen. Diese Sprechstunden können dann in Akutbehandlungen übergehen. Nach diesen ersten Behandlungen, nehmen Sie dann die langfristigere Therapieplatzsuche (wie oben erwähnt) in Angriff.
4. Alarmstufe rot: Es handelt sich um einen Notfall!
Es geht einfach nichts mehr? Sie spielen mit dem Gedanken, sich zu verletzten oder haben Suizidgedanken: Bevor Sie sich oder andere ernsthaft verletzen, rufen Sie den Notarzt (112) oder begeben sich in eine Notaufnahme. Auch der Krisendienst (116 117) ist in diesem extremen Fall die richtige Anlaufstelle für Sie. Zögern Sie bitte nicht, diesen Schritt zu gehen, wenn Ihr Zustand so akut schlecht ist. Diese Stellen helfen Ihnen im Extremfall umgehend und unterstützen Sie bei Einleitung der darauffolgenden Schritte.
Psychotherapie: Mit Psychotherapeuten zum Leben ohne Depressionen & Co.
Der Weg zu einem Therapieplatz ist oft ein langer und mühsamer. Doch wenn Sie sich bereits dazu entschlossen haben, sind Sie auf dem richtigen. Es liegt oft ein Irrgarten an neuen Fachbegriffen, Anrufen, Absagen, Wartezeiten und Formularen vor Ihnen. Doch lassen Sie sich nicht entmutigen. Leider sind die wenigen Therapieplätze bei den psychologischen Psychotherapeuten, die die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen, nach wie vor spärlich gesät. Als Selbstzahler ginge es etwas schneller und einfacher. Aber nicht alle können aus eigener Tasche rund 100 Euro pro Sitzung bezahlen. Und in naher Zukunft wird sich dieser Zustand leider kaum spürbar verbessern. Trotzdem sollten Sie dadurch nicht die Überzeugung gegenüber Ihrer Entscheidung verlieren.
Wie in den unterschiedlichsten Bereichen des Lebens, kann auch ein festes, intaktes Netz an engen Bezugspersonen hilfreich sein. Aus guten Gesprächen lässt sich oft neuer Mut schöpfen. Je nach Art der Erkrankung kann dies bereits Linderung bedeuten. Doch bei schwereren Leiden ist professionelle Hilfe oftmals leider nicht zu ersetzen. Wenn es Ihnen wirklich sehr schlecht geht, dann bestehen Sie bitte auf prompte Hilfe. Entsprechende Anlaufstellen und Hotlines für akute Situationen sind für Sie rund um die Uhr verfügbar.